Wheelchair Skills Day in Berlin

Amos fliegt wieder

Die Rollikids haben die Hauptstadt gerockt. Beim Wheelchair Skills Day in Berlin gab es Spektakuläres zu sehen: Jede Menge Rollikids in Action und eine Rakete auf vier Rädern.

Amos auf dem Wheelchair Skills Day

Beim Wheelchair Skills Day in Berlin gibt es Spektakuläres zu sehen: Jede Menge Rollikids in Action und eine Rakete auf vier Rädern.

Es geht erstmal ganz gemütlich los in der Skatehalle in Berlin-Friedrichshain. Ankommen, Hallo sagen, kennenlernen, umschauen. Alles ist vorbereitet, die große Halle ist umgebaut zu einem riesigen Indoor-Spielplatz für alle, die gern Rollstuhl fahren. Mehr als 20 bunte Hindernisse in allen Schwierigkeitsstufen, dazu die die Rampen, Steigungen, Schrägen und der ebene Betonboden des Skateparks. Hier kann man sein Gefährt gleich mal so richtig ausfahren!

Und darauf haben alle Lust. Frans ist gekommen, Lina ist dabei, Charly, Metin, Lucia, Matti und Hanna und viele, viele andere. Aus Berlin, Brandenburg, dem Ruhrgebiet, Hamburg, Leipzig und dem Schwarzwald. Über 50 Rollstuhlfahrer*innen jeden Alters haben sich angemeldet, einige kommen spontan im Laufe des Tages noch dazu. Frans zögert zu Beginn noch etwas. Gleich vorne liegt die große Wippe, da geht’s rauf und gleich wieder runter, ziemlich wackelig, das Ding. Besser, ein Übungsleiter fährt noch zwei Mal vor. Ah ja, jetzt ist auch Frans so weit und macht´s gleich ganz souverän. Macht Spaß, also gleich nochmal!

Einige Meter weiter ist Lina in konzentriertes Üben versunken. Aber ihr Hindernis ist knackig, ein kleiner, aber ziemlich steiler Hügel. Da muss alles passen, Anfahrtstempo, das Timing beim Ankippen, die Gewichtsverlagerung nach vorne genau dann, wenn die Vorderräder aufsetzen, oben schnelles umgreifen, wieder zurücklehnen, auf zwei Rädern hinunter. Puh, es will nicht klappen. Also zu zweit probiert, jede für sich und dann zusammen. Überlegen, beobachten, austauschen, ein Versuch nach dem anderen, Lina hat wirklich Biss und Ausdauer. Es lohnt sich! Noch ein Versuch, dann klappt´s, mehr Schwung in der Anfahrt – geschafft! Die Freude ist groß und sehr verdient.

Und so üben viele, manche für sich, manche in kleinen Gruppen, immer begleitet von den Übungsleiter*innen der Rollikids. Wie Willi Struwe etwa, ein ›Gesicht‹ der aktuellen Kampagne der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), der seine ersten Erfahrungen im Rollstuhl machte. Auch Finn ist dabei, 19 Jahre, aktiver Rollstuhl-Skater. Er arbeitet an seinen persönlichen Skills, hilft aber auch und leitet an – ein tolles Vorbild für die jüngeren Kids. Und davon sind viele da. Denn auch Pfeffersport, der Berliner Rollstuhlsport-Verein, hat eingeladen und ist mit Übungsleitern vor Ort.

Auch die Eltern trauen sich

Überhaupt ist das ein buntes Team: Pfeffersport und der Behindertensportverband Berlin, die Übungsleiter*innen der DRS-Rollikids mit Ute Herzog, die Trainer*innen der WCMX-Szene, das sit´n´skate-Team um David Lebuser, das niederländische Wheelchair Skills Team von K-J van der Klooster, diesmal mit Unterstützung von paralympischen Athleten aus Japan und Österreich. Bunt ist der ganze Tag, in der Skatehalle wimmelt es nur so von flitzenden Kids, schwitzenden Trainer*innen und sitzenden Eltern. Von der Seite kann man prima zusehen oder sich einen der Leihrollis schnappen und von den Kids was lernen: „Schau, Papa, so geht das. Nein, so! Ja, und dann jetzt mal in schnell!“

Pausen müssen auch sein. Im Innenhof ist es warm, die Türen stehen auf, immer schauen Neugierige herein. Das Bistro der Skatehalle bietet Getränke an, draußen gibt’s Burger vom Food-Truck und gleich daneben wird geskatet. Aber wer jetzt in die Halle schaut, sieht zwölf konzentrierte Kids – der erste Contest steht bevor. Die Hindernisse werden nun miteinander kombiniert, ein Rundkurs entsteht, das höchste Podest ist das Ziel. Das muss man sich trauen: Vor Publikum, jede*r für sich, über alle Hindernisse, auf Zeit. Eine angeleitete Proberunde und dann trauen sich alle. Auch Charly mit seinen ›Electric Wheels‹, er ist schnell, schafft alle Hindernisse, das Training hat sich gelohnt. Stolz ist er im Ziel, es gibt eine Urkunde und einen kleinen Preis, so wie auch für alle anderen. Sehr Stolz natürlich auch die Schnellsten: Metin, Matti, Lucia und Hanna.

Dann vielleicht jetzt ne Pause? Wäre möglich, aber manche machen einfach weiter. Der Parcours ist wieder für alle geöffnet, freies Training, es kommt, wer möchte. Anderen reicht ein halber Tag und viele brauchen erstmal Wasser, Obst, Pommes. Oder spielen eine Runde am rolligerechten Tischkicker von Frank. Der kommt vom Berliner Tischkicker-Verband und hat einen Haufen Tricks auf Lager, die er gerne weitergibt. Dennoch ist der Hindernis-Parcours immer voll, die Kids rocken wirklich die Halle, rauf und runter und nochmal von vorne. Ida einmal im Rollator, einmal trippelnd in ihrem Rolli, Frans ist immer noch dabei, Hanna, Lina und all die anderen.

Hanna möchte auch gern am zweiten Contest des Tages, dem ›Experts Run‹ teilnehmen. Beim ›Kids Run‹ am Mittag war sie richtig schnell, aber diesmal ist der Parcours schwerer, mit ein, zwei Stellen, die mit Tempo schiefgehen könnten. Aber Hanna ist einfach cool: Spricht ihre Sorge aus, fährt eine Proberunde, findet für sich an den kniffligen Stellen einen einfacheren Weg und ist beim Rennen am Start. Der Wheelchair Skills Day ist kein Leistungssport, hier gibt’s Trainingsaufgaben und Erfolgserlebnisse ganz nach individuellem Können und Mut. Mobilitätstraining und Rollstuhlsport für alle.

Dennoch reizt der Leistungsvergleich einige. Und das Maß aller Dinge steht jetzt am Start: Three, two, one, GO! Amos fliegt los. Schon bei der Wheelchair Skills Day-Premiere in Köln hat er sein Können an den Hindernissen gezeigt: Sie sind für ihn einfach keine, er fliegt förmlich darüber hinweg. Riesen-Stimmung in der Halle, Erstaunen und Begeisterung, dazu schneller Punkrock – Amos ist noch schneller. In gerade mal 30 Sekunden hat er den kompletten Parcours absolviert. Und auch eine zweite Runde absolviert er fehlerlos, in Bestzeit und mit einem Lächeln. Anerkennendes Lächeln und viel Beifall auch bei Shamal, Matthias und David: Alle 20 Jahre älter als Amos, ebenfalls sehr schnell im Hindernis-Parcours unterwegs und nur um wenige Sekunden geschlagen.

Wahnsinnig schnell und geschickt rasen auch Metin und Matti über alle Hindernisse und auch für Hanna geht alles gut, ein fehlerloser Run. Toll, wie ihr gefahren seid, wie gut ihr euren Rolli auch bei hohem Tempo und an schwierigen Stellen beherrscht. Technik, Timing, Tempo – alles passt. Und die Kraft wächst ja noch. Junior-Raketen sozusagen. Das Publikum ist sich einig: „Ja, ihr alle wart super und es war toll, euch zuzusehen!“

Aber Amos kann fliegen.

Text: Jens NaumannFotos: Gregor Pleßmann/DRS, Ute Herzog (4)

Impressionen

Vor dem Start zum ›Kids Run‹ geht es für die Teilnehmenden auf die Proberunde.