Ungewöhnliche Charity-Aktion

One team, one dream – all the way to the summit!

Mit einer außergewöhnlichen Charity-Aktion wurden für den Verein Haydom-Friends und dessen Projekt in Tansania Spendengelder gesammelt.

Geschafft: Ina (m.) und Santos (r.) auf dem Gipfel des ›Little Meru‹ auf 3820 Metern Höhe.

Geschafft: Ina (m.) und Santos (r.) auf dem Gipfel des ›Little Meru‹ auf 3820 Metern Höhe. | Foto: Lars Wehrmann

»Für Füße ist schon nicht leicht. Aber für Räder ist es wirklich knüppelhart.« Das ist das Resümee von Jens Naumann, der beim Trip zum Mt. Meru in Tansania zu Gunsten der Rollikids in Haydom dabei war – zu einer Zeit, in der man noch unbeschwert reisen konnte.

Es ist heiß und es ist mühsam. Es ist verdammt anstrengend. Schub für Schub die Einen, Schritt für Schritt die Anderen. Und es sind viele Schübe, viele Schritte, sehr viele, sieben Stunden lang. Und da sind die Steine, große und kleine. Sehr viele Steine, sieben Stunden lang. Für Füße ist es nicht leicht, aber es geht schon. Für Räder ist es hart, knüppelhart und dann wieder viel zu weich. Mal versinken sie im Matsch, mal bleiben sie hängen. Eigentlich bleiben sie ständig hängen, rollen ist hier schwierig, ganz schlechtes Terrain für Räder. Dazu die Steigung, sieben Stunden heute, sieben Stunden morgen, immer nur Steigung, steil und steinig. Dann die Nachtetappe und rauf auf den Gipfel bei Sonnenaufgang, das ist der Plan.

»One team, one dream – all the way to the summit!« Alle machen sich Mut, alle packen mit an, alle sind zäh. Vor allem Ina aus Stockholm, Santos aus Daressalam, Lisa und David aus Hamburg. Alle Anfang 30, alle keine Bergsteiger, aber alle zäh. Und so setzen sie Fuß vor Fuß, Schub an Schub, sieben Stunden lang. Rauf auf den Mt. Meru in Tansania, mindestens auf den kleineren der beiden Gipfel, genannt ›Little Meru‹. Für sich selbst, wegen Spina bifida, für Haydom, für das ›House of Hope‹ und wegen Theresa. Theresa ist auch zäh, sehr sogar. Seit zehn Jahren setzt sie sich für Kinder mit Spina bifida und Hydrocephalus ein, in Haydom, einem Krankenhaus auf 1700 m Höhe irgendwo auf dem Land mitten in Tansania. Dafür hat sie den Verein Haydom-Friends e. V. ins Leben gerufen. Gemeinsam mit dem Vereinsteam aus Deutschland unterstützt der Verein die medizinische Versorgung und die Nachsorge der dort geborenen Kinder mit Spina bifida.

Hilfe für Kinder mit Spina bifida und Hydrocephalus

Man muss die Schotterpiste nehmen, um dorthin zu kommen, die asphaltierte Straße hat schon vor zwei Stunden aufgehört. Herrliche Landschaft einer Hochebene, viele Felder, es wachsen Sonnenblumen, Kartoffeln, Mais. Dazwischen einfache Hütten, mal ein kleines Dorf, immer wieder Kinder am Straßenrand. Sie schauen gebannt, gleich zwei Jeeps mit Rollstühlen auf dem Dach, das haben sie so auch noch nicht gesehen. Haydom ist ein kleiner Ort, der sich links und rechts der Schotterstraße ausbreitet. Noch vor dem Ortseingang liegt das Krankenhaus, ein großes Gelände mit vielen flachen Gebäuden, einigen Bäumen und etwas Schatten. Der Einzugsbereich, den das Krankenhaus versorgt, ist groß, der Weg beschwerlich, als Krankenwagen dienen zwei Jeeps mit je einer Matratze im Laderaum. 6000 Kinder werden hier jedes Jahr geboren, das ist mehr als in jeder deutschen Entbindungsstation. Dass sie mit Spina bifida, also einer angeborenen Querschnittlähmung und einem Hydrocephalus zur Welt kommen, ist hier vergleichsweise häufig. Es gibt keine Vorsorge mit Folsäure, kaum pränatale Diagnostik, keine Schwangerschaftsabbrüche. Die Kinder werden geboren und dass sie überleben, das ist Theresa, dem Team der Kinderklinik vor Ort und der Arbeit von Haydom-Friends e. V. sowie seinen lokalen wie internationalen Partnern zu verdanken.

Für den Bau des ›House of Hope‹ braucht es Geld

Theresa Harbauer, Kinderärztin, 39, aus Hamburg wird hier einfach Dr. Theresa genannt. Zwei Jahre hat sie hier gelebt und gearbeitet. Hat die Kinder nach einem neurochirurgischen Training durch eine deutsche Kollegin vor Ort operiert, den offenen Rücken verschlossen, Ventile für das nicht ablaufende Hirnwasser gelegt. Die hiesigen Ärzte geschult, das Pflegepersonal angeleitet, die Eltern gemeinsam mit dem lokalen Team unterrichtet und aufgeklärt. Seitdem gibt es die Nachsorge- und Schulungswochen, jeweils eine Woche, zwei Mal im Jahr. Sie sind Teil eines Nachsorge-Programms, das dafür sorgt, dass die Familien regelmäßig zur Klinik kommen, katheterisieren lernen, dass Blasendruckmessungen erfolgen und regelmäßig neue Katheter ausgegeben werden. Einmal im Monat, immerhin. Sterile Einmal-Katheter gibt es hier nicht.

Das lokale Spina-Team der Kinderstation kann mittlerweile alle Kinder eigenständig versorgen. Theresa schaut trotzdem mehrmals im Jahr vorbei, hilft, schult, pflegt die Kontakte, untersucht die Kinder. Und plant mit dem Team der Klinik nun den Bau des House of Hope. Die Kinder benötigen nach geglückter Operation einen Ort, an dem sie ausruhen, sich erholen können, ihre Eltern benötigen Schulung und Vorbereitung. Viele junge Mütter sehen sich aufgrund der Behinderung ihres Kindes aus ihren Dörfern verstossen und ohne Dach über dem Kopf. Im House of Hope sollen sie und ihre Kinder Ruhe, Unterschlupf aber auch medizinische Versorgung und Nachsorge erhalten, bevor sie zurückkehren in ihre Dorfgemeinschaften, wo Leben mit Behinderung nicht selbstverständlich ist, sondern oft stört und verstört.

Für den Bau des House of Hope braucht es Geld. Und so keuchen sie also den Berg hoch, diesen wunderschönen Berg in Sichtweite des Mt. Kilimanjaro, des höchsten Bergs Afrikas mit seinem flachen Dach aus Schnee. Der Meru ist etwas niedriger, 4566 Meter der große, immer noch 3860 Meter der kleine Gipfel. Imposant ist er trotzdem, dieser ruhende Vulkan, dessen Krater man beim Aufstieg deutlich sieht und der in herrlicher Landschaft steht. Von Steppe umgeben begegnet man schon bei der Anfahrt und den ersten Wander-Etappen der ganzen Pracht Tansanias, den Zebra-Herden, den Wasserbüffeln, den Giraffen am Straßenrand und den schwarz-weißen Kolaboo-Affen, die sich über den Köpfen der Wanderer durch die Baumwipfel schwingen. Der Regenwald ist dicht, schimmert in allen erdenklichen Grüntönen, birgt ein Konzert von Vogelstimmen und zwischendurch immer wieder herrliche Aussichten in die Ebene.

Sie sind die ersten, es hat noch niemand vor ihnen versucht.

Die Gruppe der Wanderer ist groß, fast fünfzig Leute. Da sind Ina, Lisa und David mit ihren Rollstühlen, jeweils mit großem Vorsatzrad, breiten Reifen und langen Schiebegriffen. Das Material wird bis zum Äußersten gefordert, Arme und Schultern sowieso. Santos ist dabei, er geht zu Fuß und an Stöcken, zäh und unbeirrt. Dr. Theresa und das Team aus Haydom mit Joshua, dem Kinderarzt, Hendry, dem Physiotherapeuten und Bryson, dem Pfleger. Leute vom Spina bifida-Selbsthilfe-Verein, Unterstützer*innen aus Deutschland und aus Schweden, Journalisten und ein Fotograf, dazu die Ranger, die Guides, die Träger – alle wollen auf den Gipfel, alle wollen sie das ›House of Hope‹. One team, one dream.

Am Wasserfall die erste Pause. Fotos werden gemacht, Ideen ausgetauscht, das Material begutachtet, die Technik besprochen. Kann man es schaffen, mit dem Rollstuhl auf den Mt. Meru, all the way to the summit? Alle sind fest entschlossen, aber niemand ist sich sicher. Sie sind die ersten, es hat noch niemand vor ihnen versucht. Es geht gut voran, zwar langsam, aber stetig. Ein Ranger mit Gewehr vorne, einer am Schluss. Wegen der Büffel und der Leoparden. Keiner in Sicht, zum Glück. Die Stimmung ist gut, es wird gesungen und geschoben, gelacht und gezogen, geschwitzt und geschwätzt. Und gerade rechtzeitig, kurz vor Einbruch der Dämmerung kommt die erste Hütte in Sicht. Nicht gerade barrierefrei, aber das war der ganze Tag schon nicht. Und mehr als etwas essen und dann sehr viel schlafen möchte heute sowieso niemand mehr.

Wer gedacht hatte, Tag 1 des Aufstiegs sei anstrengend gewesen, der macht an Tag 2 nochmal ganz neue Erfahrungen. Ja, es geht noch steiler, ja, es geht noch steiniger. Aber ja, es gibt auch noch schönere Ausblicke aus der Höhe in die umliegende Savanne. Aber selbständig mit dem Rollstuhl, ohne Hilfe, ohne schieben, ziehen, tragen gibt es keine Chance. Das müssen David und Lisa, das muss das ganze Team einsehen. Noch hält das Wetter, aber Regen ist wahrscheinlich, dann wird es glatt und rutschig. Der Anspruch, es aus eigener Kraft oder zumindest mit gemeinsamer Kraft auf den Gipfel zu schaffen, er ist nicht zu halten. Da ist der Kilimanjaro leichter zu bezwingen, wenn er auch deutlich höher ist. Dort waren Rollstuhlfahrer schon oben, in Fernsehfilmen und auch ganz real. Sam natürlich auch, genau genommen über 200 Mal. Er ist Guide und kennt an Meru und Kili jeden Stein. Er gibt das Signal zum Abbruch und so bleibt ein Teil der Gruppe zurück und steigt ab zur Hütte. Mist, verdammter, die Enttäuschung ist groß.

Alles ›hakuna matata‹, alles kein Problem

Die, die weitergehen, setzen weiter Fuß vor Fuß. Polepole, sagen die Guides, immer schön langsam, dann ist alles hakuna matata, alles kein Problem. Auch Santos ist noch dabei, wandert ohne seine Orthesen in einfachen Sportschuhen, gibt nicht auf, behält seine gute Laune, ist immer für ein Schwätzchen bereit, auch im steilen Anstieg. Auch Ina aus Stockholm macht weiter. Sie hat ein Team von Trägen und Helfern gefunden, das sich gut eingespielt hat und gemeinsam schieben sie sich Stück für Stück, Kurve um Kurve, Stunde um Stunde der nächsten Hütte entgegen. Ihre Schiebegriffe, ihr Vorsatzrad, ihr Training und ihr eiserner Wille machen sich bezahlt. Ihre Mutter Liso sorgt für die gute Stimmung. Sie hat extra einen Song getextet und macht den DJ, mitten am Berg. Mama Meru wird schnell ihr Spitzname. So wird weiter gesungen, getanzt, geschoben und geschwitzt, all the way to the summit.

Doch vor der Gipfeletappe darf noch eine Nacht ausgeruht werden. Na gut, eigentlich ist es nur eine halbe Nacht, denn schon kurz nach Mitternacht werden alle schon wieder geweckt, es gibt Tee, Porridge und Popcorn, tansanianisches Hütten-Frühstück wie an jedem Morgen, diesmal eben schon früh um zwei. Macht nichts, vor Aufregung kriegen so manche sowieso kein Auge zu. Und dann geht’s los auf das letzte Stück, mit eingeschalteter Stirnlampe, in dicke Jacken gepackt, mit Handschuhen, dem Sonnenaufgang und dem Gipfel entgegen.

Musah hat von alldem noch keine Ahnung. Der Mt. Meru und die bunte Gruppe, die sich mitten in der Dunkelheit lieber steile Bergpfade hochstemmt als auszuschlafen, sind weit weg von Musah und von Haydom. Musah ist sieben, er ist in Haydom geboren, mit Spina Bifida und Hydrocephalus. Mit seiner Mutter hat er das von Dr. Theresa initiierte Nachsorge-Programm durchlaufen und kommt auch weiterhin regelmäßig zur Kontrolle und weiteren Behandlung ins Krankenhaus. Viele Stunden im Bus müssen sie aus ihrem Dorf anreisen und haben immerhin das Glück, als Teilnehmer des Spina bifida – Programms nicht die gesamten Krankenhauskosten privat zahlen zu müssen. Musah hat sogar einen eigenen Rollstuhl, den hat hier bei weitem nicht jeder Mensch, der einen bräuchte. Wheelchair african style, ausgestattet mit geländegängiger Bereifung und einem großen Vorderrad, anders geht es kaum bei dem unebenen Gelände rund um Haydom. Aber er sitzt nicht sehr gut darin, es ist halt die Standardgröße, viel zu breit, mit loser Sitzbespannung, schlecht erreichbaren Rädern und unglaublich schwer zu drehen und zu lenken. Ankippen des Vorderrades? Unmöglich für Musah. Aber das stört ihn kaum, er ist ein frecher, neugieriger, kleiner Kerl mit einem unglaublich breiten Lächeln. Mit viel Mühe schafft er es, sich ein klein wenig selbständig fortzubewegen, den großen Kopf einigermaßen gerade zu halten und ganz langsam dorthin zu rollen, wohin er möchte.

Ganz langsam dorthin rollen, wo sie hin möchte, das tut auch Ina. Noch immer bergauf, unermüdlich. Doch es bestehen jetzt kaum noch Zweifel, sie wird es schaffen bis hinauf auf 3860 m, bis auf den Gipfel von Little Meru. Der Regen ist ausgeblieben, die Sicht ist klar und pünktlich zum Sonnenaufgang zeigt sich der majestätische Nachbarberg, der Kilimanjaro, das Dach Afrikas. Es ist überwältigend und die Stimmung in der kleinen kunterbunten Expeditions-Gesellschaft ist fantastisch. Am Gipfel gibt’s kein Halten mehr, Tänzchen, Lieder, Küsschen, Umarmungen, Fotos und die pure Freude. Ina und Santos sind die ersten Menschen mit Spina bifida hier oben, sie sind da, nach drei Tagen immer währenden Aufstiegs. Wie stolz kann man sein? So stolz wie alle zusammen, one dream, one team und sie haben es geschafft, wir alle haben es zusammen geschafft. Ina freut sich besonders. Für sich selbst und über ihre unglaubliche Leistung, aber auch über ihre Sponsoren. Denn die haben für jeden Höhenmeter, den sie zurücklegt, ihre Unterstützung zugesagt für das House of Hope in Haydom, für die Kinder und Familien mit Spina bifida. Etwas mehr als 20.000 € kommen zusammen durch die Gruppe auf dem Gipfel, die Sponsoren und weitere Spenden. Dazu jede Menge Aufmerksamkeit für die Gipfelstürmer im Rollstuhl, für den ganzen Charity Hike: Das tansanianische Fernsehen berichtet, wir werden angesprochen in den nächsten Tagen, im Hotel und auf der Straße. Ina ist eine Heldin und Santos ist ein Held.

Ach ja: Runter müssen sie auch noch. Auch nicht leicht, nein, gar nicht. Dem einen schmerzen die Füße, der anderen die Schultern. Doch der Erfolg beflügelt und so geht es nach dem Auskosten des Gipfels zurück zur Hütte. Zurück zur letzten, kurze Mittagspause und gleich weiter zur nächsten. Und heute Nacht, da macht dann wirklich jeder auf diesem Berg die Augen zu.

Drei Tage später erreichen wir Haydom, im Gepäck die Erlebnisse und Berichte vom Mt. Meru. Wir dürfen sie teilen mit den Ärzten, Pflegern und weiteren Mitarbeitern des Krankenhauses, Fotos werden gezeigt und ein kurzer Film vom Berg. Die Freude ist groß, Dr. Theresa ist wieder da und sie hat ein paar ziemlich verrückte Leute mitgebracht. Mit dem Rolli auf dem Mt. Meru? Wer hätte das gedacht, es geht! Ina, Lisa und David sind eine Attraktion, auch ohne die Bergsteigerei. Drei erwachsene Menschen, mit weißer Haut, fit, selbstbewusst und mobil im Rollstuhl, das hat man hier noch nicht gesehen. Auch Musah ist begeistert von den Gästen, er lacht und lächelt und strahlt. David und er sind sofort Freunde, ganz ohne Sprache, nur durch ihre Augen, einen Volleyball und ein kleines Seil verbunden, so spielen sie miteinander auf dem Flur der Kinderklinik und lernen sich kennen.

Eigenständige Mobilität ist kaum denkbar für Musah und die anderen

Musah ist nur eines von 17 Kindern, die sich in dieser Woche wieder auf den langen Weg von ihren Dörfern nach Haydom gemacht haben. Manche sind schon jugendlich, viele Kleinkinder, manche noch Babies. Einige sollten Schulkinder sein, doch nicht ein einziges von ihnen besucht eine Schule. Dank Dr. Theresa und des Klinik-Teams konnten sie überleben, sind gesund, Darm- und Blasenmanagement funktionieren, aber einen Rollstuhl haben nur wenige. Eigenständige Mobilität ist so kaum denkbar, dazu kommen die kleinen Hütten, in denen sie leben, und die groben Schotterpisten. Keine  asphaltierte Straße weit und breit, Gehwege gibt es nicht. Neben der mangelnden Mobilität fehlt es den Kindern an einer guten Sitzpositionierung im Rollstuhl, viele haben kaum Halt im Rollstuhl, keine Sitzkissen, keine Kopfstützen, schlecht eingestellte Fußrasten, dafür Skoliosen und schlimme Druckstellen. Viele werden weiterhin von ihren Müttern auf der Hüfte getragen, es ist schlichtweg die einzige Möglichkeit zur Fortbewegung.

David, Lisa und Jens von den DRS-Rollikids wollen hier ansetzen. Wir lernen die Kids von Haydom kennen, spielen kleine Spiele, haben Bälle dabei und viele Luftballons, auch Mal- und Bastelsachen. Wir wollen Kindern, Eltern und dem medizinischen Personal zeigen, dass es geht, sich selbständig fortzubewegen, auch mit Spina bifida. Und Musah und die anderen, sie kommen durch spielerische Bewegung ins Rollen, wenn auch langsam und beschwerlich. Klar, ohne Sprache ist es schwieriger, obwohl Davids Swahili-Versuche auf viel Begeisterung stoßen. Aber es finden sich Wege auch ohne Worte, nur mit etwas Musik und einem Springseil. Und so findet sich eine Gruppe, die Spaß am Ballspiel hat, kleine Pässe, werfen, fangen, Namen lernen mit dem Volleyball. Wir nennen sie „Tansania wheelchair Basketball Team 2030“, sie freuen sich über jeden gelungenen Pass, jeden Ballkontakt und wir freuen uns mit ihnen.

Natürlich müssen wir an die Rollis ran. Bei einigen können wir etwas tun. Es dauert alles, immer polepole natürlich, aber die Techniker des Krankenhauses sind sehr offen, gemeinsam benutzen wir die Werkstatt und können Sitzbespannungen durch Sitzbretter ersetzen, Fußrasten in die richtige Höhe bringen, Kopfstützen anbringen, die Sitzflächen auspolstern, Vorderräder gängig machen und auch mal flugs einen Bremshebel anschweißen. Geht alles, hier auf dem staubigen Hof hinter der Kinderstation. Theresas Ziel ist es, hier neben der Reparatur-Werkstatt auch eine Rolli-Produktion zu etablieren, alles vor Ort zu haben, was den Kindern helfen kann. Nach diesem ersten Besuch in Haydom wissen wir nun zumindest, welche Bedingungen dort herrschen und können vielleicht etwas unterstützen, indem wir unsere Rollstühle herzeigen und ausprobieren lassen. Langsam möchten wir Bewusstsein schaffen für die Wichtigkeit einer guten Rollstuhlversorgung, Hinweise geben zur Sitzpositionierung und zur aktiven Rollstuhleinstellung. Gebaut werden soll dann hier, es wird noch dauern, aber der Anfang ist gemacht und Theresa kann sehr ausdauernd sein, wie gesagt.

Als wir die mitgebrachten kleinen Rollstühle der 4ma3ma und die Bälle nach drei Tagen wieder einpacken gibt es einige Tränen und viele traurige Augen. Es hat allen so viel Spaß gemacht und das Erlebnis des leichten eigenständigen Fahrens hat viele beeindruckt. Nicht nur die Kinder, die es erleben, auch die Erwachsenen, die dabei zusehen konnten. Für uns ist klar: Wir kommen wieder. Bei der nächsten Schulungswoche für Eltern möchten wir dabei sein, wieder Rollstühle mitbringen, weiter an den vorhandenen Rollis arbeiten und spielerisches Mobilitätstraining anbieten. Wieder im Hotel, kurz vor der Rückreise nach Deutschland hören wir dann allerdings zum ersten Mal von einem Virus, das in China entdeckt wurde. Die Corona-Pandemie nimmt ihren Lauf, wann wir wieder nach Tansania reisen können ist unklar, aber so viel ist sicher: Theresa plant schon das nächste Abenteuer für alle reiselustigen Unterstützer*innen von Musah und den anderen Kindern.

Neugierige Gesichter: David Lebuser zeigt an einer Schule Tricks mit dem Rollstuhl.
Neugierige Gesichter: David Lebuser zeigt an einer Schule Tricks mit dem Rollstuhl.

Für unsere Reisegruppe steht nach den Tagen in der Klinik noch ein Schulbesuch an. So viele neugierige Gesichter als wir mit den Rollis auf den staubigen Schulhof rollen. Erst recht als David einige seiner Tricks zeigt! Und der Schulleiter ist erstaunlich offen für unser Anliegen, einen Schulplatz für die Kinder von Haydom zu finden. Schüler*innen mit Behinderung, im Rollstuhl gar, sind hier bisher undenkbar gewesen. Doch Musah ist tatsächlich seit Kurzem ein Schulkind, mit Unterstützung von Haydom-Friends hat er einen Platz in der Schule in Katesh gefunden, wo er in unmittelbarer Schulnähe eine durch Spenden finanzierte Unterkunft mit seiner Tante bewohnt. 

So soll es weitergehen für die Rollikids in Haydom, Tansania. Es ist noch viel zu tun, doch Dr. Theresa und ihre Haydom-Friends packen es an. Das House of Hope, den barrierefreien Spielplatz, die Rollstuhlversorgung, den Schulbesuch. One team, one dream, viel Kraft, Gemeinschaft und langer Atem, bis hinauf zum Gipfel. Hakuna matata, kein Problem? Nun, das vielleicht nicht. Aber ein Weg, der sich lohnt und wunderschön ist, da draußen im Hochland von Tansania, mitten in Afrika.

Text: Jens Naumann

Fotos: Lars Wehrmann, Jens Naumann für Haydom friends e.V.

Haydom-Friends e. V.
Vorsitz Dr. Theresa Harbauer
Harbauer.theresa@yahoo.com
www.haydom-friends.org
Geldinstitut: Deutsche Kreditbank AG
IBAN: DE 71 1203 0000 1020 0278 66  

Tansania
Der Staat in Ostafrika liegt am Indischen Ozean und ist mit 56,3 Millionen Einwohnern (2018) das nach Bevölkerung fünftgrößte Land Afrikas.